Organismen können ihren Körper im Laufe ihres Lebens an ihre Umwelt anpassen. Diese Fähigkeit wird als morphologische Plastizität (von altgriechisch morphé „Gestalt, Form“, und lógos „Wort, Lehre, Vernunft, Sinn“) bezeichnet. Beim Menschen macht sich diese Fähigkeit als Muskelentwicklung aufgrund von sportlichen Tätigkeiten oder beim Bilden von Hautbräune aufgrund von Sonneneinstrahlung (Melaninproduktion).
Lange ging man davon aus, dass diese Anpassungsfähigkeit über individuelle Entwicklung vom juvenilen zum adulten Organismus sowie zwischen Geschlechtern konstant ist. Doch kürzlich tauchten Theorien auf, dass das Ausmaß der Plastizität sich über verschiedene Entwicklungsstadien und zwischen den Geschlechtern unterscheiden könnte. Da es keine empirische Forschung zu diesen Theorien gab, benutzte ich den Smaragdprachtbarsch (Pelvicachromis taeniatus), um diese Frage im Kontext mit durch Alarmstoffe ausgelösten morphologischen Veränderungen zu bearbeiten.
Alarmstoffe werden von verletzten Artgenossen passiv abgegeben, um vor Räubern zu warnen. Das Vorhandensein dieser Alarmstoffe löst nicht nur Verhaltensänderungen in Beutetieren aus, sondern führt langfristig auch zu morphologischen Anpassungen. In der Karausche (Carassisus carassius, Abbildung a) verändert sich bei der Anwesenheit dieser Alarmstoffe die gesamte Körperform, es bildet sich ein hochrückiger Körperbau (Abbildung b). Dadurch haben es die Raubtiere deutlich schwerer, die so ausgestatteten Karauschen in ihr Maul aufzunehmen und zu fressen. Dementsprechend bleiben hochrückigere Karauschen häufiger von Raubtieren verschont.
In meinen Versuchen setzte ich Vollgeschwister des Smaragdprachtbarsches Pelvicachromis taeniatus lebenslang entweder Alarmstoffen oder einer Kontrollbehandlung aus und dokumentierte ihren Körperbau sowie ihre Farbentwicklung photographisch an sechs Zeitpunkten ihrer Entwicklung, darunter drei Jungtierstadien und drei Erwachsenenstadien.
Es stellte sich heraus, dass die alarmstoffexponierten Pelvicachromis taeniatus ihre Körperform und ihre Färbung veränderten, allerdings trat dies nur an zwei Zeitpunkten ihrer Entwicklung auf. Zuerst war dieses Phänomen in einem frühen Jungtierstadium, zwei Wochen nach dem Schlupf aus dem Ei, zu beobachten. Anschließend verschwanden die Unterschiede, traten jedoch am Zeitpunkt der sexuellen Reifung wieder auf. Dieses Muster entspricht theoretischen Annahmen und bestätigt damit diese Theorien. Darüber hinaus konnten wir überraschenderweise feststellen, dass nur männliche Tiere ihren Körper anpassten, während weibliche Individuen das nicht taten – wahrscheinlich, weil die Männchen größer und auffälliger sind und ihr Revier verteidigen müssen. Die wichtigsten veränderten Merkmale waren ein schnelleres Wachstum in alarmstoffexponierten Jungtieren und Männchen sowie eine blassere Färbung in Männchen. Das schnellere Wachstum begünstigt ebenso wie ein hochrückiger Körperbau, nicht mehr in die Mäuler zahlreicher Raubtiere zu passen und die blassere Färbung macht die Tiere wesentlich unauffälliger – so dass die Raubtiere Probleme damit haben, sie in der vielschichtigen Unterwasserwelt zu finden.
Diese Ergebnisse wurden in der hochrangigen internationalen Fachzeitschrift The American Naturalist veröffentlicht und in einer englischen Pressemitteilung der gleichen Zeitschrift beschrieben. Es gibt darüber hinaus eine deutschsprachige sowie eine englischsprachige Pressemitteilung der Universität Bonn. Dieser Artikel wird zudem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als Beispiel für Exzellenzforschung in Deutschland präsentiert.
Foto: © Christer Brönmark/Proceedings of the Royal Society B