Wann haben sie das letzte Mal gut geschlafen?
In unserer leistungsorientierten Gesellschaft wird dem Schlaf immer weniger Bedeutung geschenkt – viele Menschen versuchen, mit einem Minimum an Schlaf auszukommen. Andererseits verankern viele Traditionen den Schlaf in ihrer Kultur, wie die Spanier die Siesta. Selbst wenn wir ein Viertel unseres Lebens verschlafen, ist diese Zeitperiode für unseren Körper wichtig. Schlaf hält uns fit – nicht nur unser Herz-Kreislaufsystem, sondern auch unser Gehirn.
Schon der bekannte römische Redner Marcus Fabius Quintillianus berichtete von den positiven Auswirkungen des Schlafs auf das Gedächtnis. Er schrieb in seinem Werk „Institutio Oratoria“: „Es ist ein interessanter, jedoch nicht offensichtlicher Fakt, dass das Intervall einer Nacht die Merkfähigkeit fördert. Die Zeit, welche normalerweise ein Grund der Vergesslichkeit ist, dient in Wirklichkeit dazu, das Gedächtnis zu verbessern.“ In den letzten 20 Jahren befassten sich Wissenschaftler wieder vermehrt mit dem Phänomen des Schlafes. Laut dem amerikanischen Psychologen und Neurobiologen Matthew P. Walker konnten sie dabei einige wertvolle neue Erkenntnisse gewinnen. Seine Rezension in den „Annals of the New York Academy of Sciences“ stellt dar, dass sich Schlaf positiv auf das Erinnerungsvermögen, auf das Abstraktionsvermögen und auf die Kreativität auswirkt.
Die nächtliche Ruheperiode wird benötigt, um Erinnerungen über lange Zeiträume hinweg zu bewahren. Dr. Walker zeigte in Experimenten, dass eine fehlende Schlafperiode das Erinnerungsvermögen um fast die Hälfte reduziert. Vor allem positive Gedanken werden durch Schlaf gefestigt. Hingegen erinnerten sich Personen, die nicht schliefen, hauptsächlich an negative Erlebnisse. Daher wird angenommen, dass Schlafmangel eine mögliche Ursache für Depressionen sein kann.
Weiterhin wurde in den letzten Jahren unter der Leitung von dem amerikanischen Neurologen Jeffrey M. Ellenbogen entdeckt, dass Informationen durch Schlaf auch vor neuen, irreführenden Sachverhalten geschützt werden. Laut seiner Niederschrift in der Zeitschrift „Current Biology“ gab er Testpersonen vor, Zusammenhänge zwischen zwei Wörtern zu lernen. Die folgende Nacht ließ er sie entweder schlafen oder hinderte sie daran. Am nächsten Tag zeigte er diesen Personen andere Wortzusammenhänge, die sich stark von denen, die sie am Anfang lernten, unterschieden. Die Menschen aus der Gruppe, welche die Nacht schlafend verbrachten, erinnerten sich anschließend allerdings deutlich besser an die ursprünglichen Zusammenhänge.
Nicht nur das Merken erlernter Zusammenhänge, sondern auch die Fähigkeit, diese in neuen Informationen wieder zu finden – auch als Abstraktionsvermögen bezeichnet – wird durch Schlaf gefördert. Dies fand die Kinderpsychologin Rebecca L. Gomez heraus. Sie beschrieb in einem Artikel von „Psychological Science“, dass die Abstraktionsleistungen von Kleinkindern durch Nickerchen stark gefördert werden. Die Kinder fanden nach einer kurzen Schlafperiode deutlich besser bekannte Muster in neuen Phrasen wieder.
Kreativität – die Fähigkeit, bekannte Informationen auf neue Art und Weise zusammenzustellen – wird ebenfalls durch Schlaf gefördert. In Träumen kamen auch berühmte Wissenschaftler zu wichtigen Erkenntnissen. Der Chemiker August Kekulé erträumte vor knapp 150 Jahren die chemische Struktur von Benzol. Auch sein Kollege Dmitry Mendeleyev erstellte einige Jahre später das Periodensystem der Elemente nach einem inspirativen Schlaf. Vor einigen Jahren schrieb der Deutsche Ulrich Wagner zusammen mit seinen Kollegen in „Nature“ über den Effekt von Schlaf auf die Kreativität. Personen wurden Rechenaufgaben gestellt, die einen Trick beinhalteten, diese schneller zu lösen. Einen Tag später fanden diejenigen, die schlafen durften, diesen Trick eher als die Schlaflosen.
Um unsere Leistungsfähigkeit auf einem hohen Level zu halten, empfiehlt es sich also, ausreichend zu schlafen. Der amerikanische Psychiater Daniel F. Kripke und seine Kollegen studierten die optimale Schlafdauer auch in Hinblick auf die Lebenserwartung. Laut ihrer Veröffentlichung in der Zeitschrift „Archives of General Psychiatry“ empfehlen sich sieben Stunden Schlaf am Tag. Zuwenig, aber auch zuviel Schlaf kann die Lebenserwartung senken. Mit Schlafmitteln sollte daher nicht nachgeholfen werden. Es empfiehlt sich hingegen laut der amerikanischen „National Sleep Foundation“, auf Koffein und Alkohol zu verzichten, um gut schlafen zu können. Weiterhin sollte eine entspannende Atmosphäre vor dem Schlaf geschaffen und dieser nachts in einem kühlen, dunklen Raum vollzogen werden.
Auch Nickerchen haben positive Effekte auf die Gehirnleistung, schrieben die Amerikaner Bryce A. Mander und Kollegen in der Zeitschrift „Current Biology“. In ihrer aktuell veröffentlichten Experimentalreihe wurden 27-jährige Frauen entweder einer Gruppe mit einem Mittagsschlaf oder einer Gruppe ohne diesen zugeordnet. Neben tagesüblichen Aktivitäten nahmen die Testpersonen mittags und abends an Lernversuchen teil. In diesen sollten die Frauen Namen und zugehörige Gesichter lernen und sich kurz darauf an diese Kombinationen erinnern. Es stellte sich heraus, dass die Lernfähigkeit nach dem Mittagsschlaf am Abend deutlich verbessert war. Im Vergleich dazu nahm die Merkfähigkeit der Frauen ohne Schlaf über den Tag ab. Um unsere Leistungsfähigkeit auf einem hohen Level zu halten, empfehlen sich also neben einem guten nächtlichen Schlaf auch kurze Nickerchen während des Tages.
Falls ihr Chef dagegen sein sollte – sie haben jetzt die Argumente auf ihrer Seite.
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